DAMASCUS - Touristisches Disneyland oder Weltkulturerbe

 

Identitätssuche in Damaskus

Noch entfaltet die Altstadt orientalischen Zauber. Ihre Bürger wollen verhindern, dass sie ein touristisches Disneyland wird

 
DAMASKUS. Das Beit Al Mamlouka ist ein Sinnbild für Glanz und Elend der Altstadt von Damaskus. Der alte Kaufmannspalast aus dem 17. Jahrhundert liegt in einer engen Sackgasse im christlichen Viertel. Hinter dem schweren Holztor entfaltet sich die ganze Pracht des Orients. Marmormosaiken schmücken den Boden. Ein leichter Windzug bewegt die Blätter der Zitronenbäume im Innenhof. Von der Galerie im ersten Stock gehen schmale Türen ab, hinter denen üppig dekorierte Zimmer liegen, mit bemalten Holzdecken, arabischen Inschriften, perlmutt-verziertem Mobiliar. Das ist der Glanz.


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Als vor drei Jahren die Rekonstruktionsarbeiten beendet wurden, zog in das Beit Al Mamlouka ein Luxushotel ein. Andere Altstadthäuser, Villen und Karawansereien, die in den vergangenen Jahren saniert wurden, beherbergen jetzt Restaurants, Kulturinstitute oder ebenfalls Hotels.
Das sei das Elend solcher Rettungsaktionen, sagt die syrische Architektin Rim Abdulgahni, die sich auf historische Architektur spezialisiert hat.


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Die Gebäude verlieren ihre ursprüngliche Funktion und damit ihre Bewohner. "Ein Viertel und eine Stadt sind aber nicht nur die Summe der Häuser, sondern der Familien, der jungen und alten Menschen, die darin leben." Wenn sie verdrängt werden, verschwinden auch die Bäckereien, Lebensmittelläden, Frisöre, Tischler und Schuhmacher. Die Altstadt verliert ihren Charakter.





Damaskus wurde im 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung gegründet und gilt als älteste durchgängig besiedelte Stadt der Welt. Die Altstadt ist eine der schönsten im Orient. Viele Völker und Herrscher haben sie geprägt und ihre Spuren hinterlassen. Ihr Zauber ist legendär. Es heißt, dass sich Prophet Mohammed geweigert habe, sie zu betreten: Ein Mensch, soll er gesagt haben, könne schließlich nur einmal ins Paradies kommen.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aber wurde auch Damaskus von den neuzeitlichen Plagen heimgesucht: von einem enormen Bevölkerungszuwachs, zunehmender Motorisierung, Abgasen und Umweltverschmutzung.


Über Jahrzehnte war die Altstadt dem Verfall preisgegeben. Wildwuchernde Stromleitungen, Satellitenschüsseln und Betonputz verschandelten die jahrhundertealten Häuser. Die Holzerker sackten ab, der Naturstein bröselte, die Mosaiken lösten sich auf. Abrissbirnen kamen zum Einsatz. Die Besitzer bauten sich Villen in den Vorstädten, die Armen zogen in die leerstehenden Häuser ein.



Villen verwandelten sich in Mehrfamilienhäuser, aus den Karawansereien, die einst Herbergen für Kaufleute und Handelsplätze waren, wurden Lager, Werkstätten, Müllplätze.
Als die Unesco die Altstadt 1979 auf ihre Weltkulturerbe-Liste setzte, stoppte das noch nicht den Verfall. Aber es weckte Interesse an der Erhaltung einzelner Gebäude. Erst in den letzten vier, fünf Jahren habe tatsächlich eine Wende eingesetzt, sagt die Architektin Rim Abdulghani. Die Regierung fördere den Tourismus, zugleich sei Syrien für Araber aus den reichen Golfstaaten attraktiv geworden. Sie investieren in Großprojekte, bauen Hotels, kaufen Altstadtvillen.


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Noch entfaltet der alte Kern von Damaskus den Zauber einer intakten orientalischen Stadt. Enge, überdachte Gassen münden unvermutet in luftige, offene Plätze, wo Jasminbüsche und Orangenbäume wachsen.



Abgeschirmt durch eine Stadtmauer und geschützt durch ein - leider nicht strikt befolgtes - Fahrverbot, hält sich der Verkehr in Grenzen. In manchen Gassen lehnen sich die morschen Häuser aneinander, in anderen ahnt man hinter soliden, dicken Mauern große Anwesen mit üppigen Gärten.


Noch immer geben die sanierten Häuser Anlass, innezuhalten und die neue Pracht zu bestaunen - oder sich über Stilbrüche, grelle Anstriche und radikale Modernisierungen zu wundern. Letzteres haben oft die neuen Besitzer vom Golf zu verantworten.
"Zu Hause lassen sie sich von weltberühmten Architekten gigantische Gebäude aus Glas und Beton in den Wüstenboden setzen", sagt Rim Abdulghani. Neue Städte entstehen mit dem Grundriss der Weltkarte oder von Palmen. Aber eigentlich seien die Araber vom Golf auf der Suche nach Identität. "Sie glauben, sie könnten sich etwas von unserer Identität kaufen, wenn sie diese Villen im alten, traditionsreichen Damaskus erwerben", sagt die Architektin. Die sanierten Altstadthäuser würden aber nur als Urlaubsresidenzen genutzt und stünden die meiste Zeit leer, klagt Rim Abdulghani - und beteuert, dass sie damit keine Vorurteile gegen die Golfaraber bedienen wolle. Die Scheichs sind in der übrigen arabischen Welt nicht sehr beliebt. Genährt von Neid, gelten sie als neureiche Emporkömmlinge, bigott und unsolidarisch.
Rim Abdulghani sagt, auch andere Ausländer kauften Häuser in Damaskus, aber die restaurierten wenigstens mit viel Mühe und Engagement alles originalgetreu - die Luftschächte zur natürlichen Klimatisierung, die Winter- und Sommerzimmer, die Malereien, Erker und schmalen Treppen. Die Golfaraber setzten dagegen mehr auf Bequemlichkeit. Die Fassade bleibe, das Innere werde herausgerissen, Fahrstühle würden eingebaut, große Bäder und moderne Klimaanlagen. "Das ist, als ob du das Gesicht eines Menschen verschönerst, aber ihm das Gehirn entfernst", sagt die Architektin. Am schlimmsten aber sei, dass die alteingesessenen Bewohner verschwinden. "Die Altstadt wird zum orientalischen Disneyland für Touristen und Zweit-Wohnungsbesitzer."
Eine fachgerechte Sanierung aber ist aufwändig und für die meisten Alt-Besitzer zu teuer. Gibt es also nur die Alternative, dass die Häuser verfallen oder aber die alten Bewohner vertrieben werden? Rim Abdulghani sieht durchaus eine Lösung: "Wir brauchen Denkmalschutzgesetze und einen Masterplan, der nicht nur die Altstadt, sondern auch die Gebiete vor der Stadtmauer erfasst. Die Besitzer brauchen finanzielle Unterstützung und Anreize, damit sie ihre Häuser in Stand setzen." Und es müsse Mietobergrenzen geben.
Altes und Modernes verbinden
Wäre Rim Abdulghani eine Einzelkämpferin, blieben diese Vorschläge wohl für immer eine Vision. Inzwischen aber setzen sich viele lokale Initiativen für einzelne Häuser ein und für Gesamtkonzepte, die die demografische und kulturelle Vielfalt schützen sollen. Auch wollen sich große internationale Organisationen für die Damaszener Altstadt engagieren, etwa die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ). Ihr deutsch-syrisches Kooperationsvorhaben "Altstadt Damaskus" soll mit, durch und für die alteingesessene Bevölkerung umgesetzt werden. Hausbesitzer und Mieter können sich bewerben, erhalten technische Beratung und Finanzierungshilfe. Andere Nichtregierungsorganisationen, die EU und die Uno organisieren und finanzieren Kulturfestivals, holen ausländische Straßentheatergruppen und Orchester in die Stadt.
Für Rim Abdulghani sind das zwar wichtige Projekte. Aber ihr geht es vor allem um Identität, um das Bewusstsein, wer man ist und woher man kommt. "Wir müssen unsere eigene Kultur wiederentdecken", sagt sie, die Lieder, Tänze, Märchen, die Architektur, das Handwerk. "Wir müssen die Kunst erlernen, unser Erbe zu bewahren und es mit der Moderne zu verbinden."

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