TRAUMHAUS im Engadin



Seit 26 Jahren haben die Küenzis ihr traumhaftes Feriendomizil im Engadiner Dorf Bever. Chesa Wazzau – eine Liebesgeschichte in fünf Akten.

Erster Akt: die Verirrung:

Es war im Spätherbst 1984, als sich Christian Küenzi ins Bergell aufmachte, um den Vertrag für ein Ferienhaus in Bondo zu unterschreiben. Vor dem vereinbarten Termin setzte sich der freischaffende Fotograf in die Dorfbeiz, trank einen Kaffee und studierte die «Engadiner Post». Im Lokalblatt fand er eine Anzeige zum Verkauf eines alten Engadinerhauses in Bever, dessen Besichtigungstermin für jenen Tag angesetzt war. Warum nicht später noch vorbeischauen, wenn ich schon in der Gegend bin, dachte sich Christian Küenzi. Der Vertragsabschluss für das Haus in Bondo war schnell erledigt. Ein nettes Häuschen, in einem netten Dorf, aber letztlich ein Kompromiss. Christian Küenzi und seine Frau hatten sich eigentlich etwas Älteres, Charmanteres ersehnt.

Zweiter Akt: Fall in Love:

Ein paar Stunden später stand Christian Küenzi, vom Zufall gelenkt, in der Scheune der Chesa Wazzau in Bever, einem alten Bauernhaus, erbaut um 1600. «Ich hatte noch keinen Fuss ins Haus gesetzt und wusste bereits: Das ist es!», sagt Christian Küenzi, und es scheint, als würde er diesen Moment vor 26 Jahren noch einmal durchleben. Beinahe sakral hätte der Raum gewirkt, golden erleuchtet von den Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch die geschnitzten Holzlatten der Scheunenwände bahnten. «Es herrschte eine  Lichtstimmung, wie man sie nur selten erlebt», sagt Christian Küenzi. Die Faszination setzte sich im Wohnhaus fort, dokumentiert in zahlreichen Fotos. Von den urchigen Holztüren, den archaischen Truhen, dem Gewölbe der Küche, der vorderen und der hinteren Stüva (Stube) in ihrer eleganten Kassettenverkleidung, dem hellen Fürstenzimmer, dem schlichten Knechtenzimmer und dem Suler – dem stattlichen Eingangsraum des Engadinerhauses mit seiner schiefen Decke. Verena Küenzi sah sich die Bilder zuhause in Kilchberg in aller Ruhe an und sagte dann: «Ja, das ist es.»

Dritter Akt: Einswerden:

Vom Kaufvertrag in Bondo sind die Küenzis daraufhin zurückgetreten und mussten eine Busse zahlen. Schmerzvoll zwar, aber das war es wert. «Wir hatten grosses Glück», sagt Verena Küenzi, «dass sich der Nachbar der Chesa Wazzau für uns eingesetzt hat.» Er müsse wohl gespürt haben, dass sie es mit dem Haus gut meinen würden und nicht daran interessiert waren, es auszuhöhlen, um darin zwei bis drei Ferienwohnungen mit modernstem Ausbaustandard unterzubringen. Verena Küenzi steht gerade am langen Tisch im Suler und steckt den Saum von neuen Vorhängen ab. Manchmal seien sie ein paar Tage hier oben, und jeder «chlütere» etwas vor sich hin – es gäbe immer etwas zu tun –, und sie merkten erst bei der Abreise, dass sie eigentlich kaum aus dem Haus gekommen seien. Vieles in der Chesa Wazzau wurde von der mittlerweile pensionierten Werklehrerin über die Jahre hergerichtet, genäht oder dekoriert. «Es ist wohl die grösste Leidenschaft meiner Frau, durch Brockenhäuser und Antiquitätengeschäfte zu stöbern und mit Schätzen aus der Vergangenheit nachhause zu  kommen», sagt Christian Küenzi auf dem Rundgang durchs Haus. Vor allem Bilder hätten es seiner Frau angetan. Und diese werden nicht etwa planlos verteilt und aufgehängt, sondern folgen einer thematischen Anordnung. So ist die hintere Stüva momentan gerade dem Thema Tiere gewidmet. Ein altes Schwarzweissfoto, das Männer auf der Bärenjagd zeigt, hängt zwischen einem Aquarell, auf dem Hahn und Henne mit ihrem Nachwuchs abgebildet sind, und einer Kreidezeichnung mit weidenden Kühen. Auf die Frage, ob man sich in Sachen Einrichtung immer einig gewesen sei, antwortet Christian Küenzi ohne lange zu überlegen: «Ja, schon.» Und ergänzt: «Wo Diskussionen hätten entstehen können – beim Umbau der Küche und beim Badezimmer etwa –, haben wir unsere Rollen aufgeteilt.» So hat Verena Küenzi in der Küche die gestalterische Federführung übernommen, wo ein altes Holzregal aus dem Fundus des Hauses, zahlreiche Kochbücher und Geschirr beheimatet sind. Ihr Mann war für die Gestaltung im Bad zuständig, wo er zwei Waschbecken und eine Toilette von Philippe Starck installieren liess. Ob es denn noch weitere Umbaupläne für die Chesa Wazzau gebe?




Vierter Akt: die Anderen:
«Ein grosses Badezimmer im Obergeschoss vielleicht», sagt Christian Küenzi. Und fügt an: «Nicht wegen uns – für die Mieter, die sind sich eben einen gewissen Standard gewöhnt.» Die Entscheidung, zu vermieten, fällten die Küenzis vor zwei Jahren. Sie ist ihnen nicht leicht gefallen, schliesslich sind sie mit dem Haus zusammengewachsen. 24 Jahre hatten sie mit ihrem Sohn und der Tochter, mit Verwandten und Bekannten in der Chesa Wazzau zugebracht. Den Weihnachtsbaum im Suler platziert, an der langen Tafel Platz genommen und Geschenke ausgepackt. Nun verbringen die Küenzis Weihnachten in Kilchberg oder im Ausland. «In der Hochsaison lässt sich das Haus eben besonders gut vermieten», sagt Christian Küenzi, als müsse er sich selber noch einmal überzeugen. «Und schliesslich sind wir als Rentner flexibel, wir können also gut in der Nebensaison hier heraufkommen.» Anpassungen für die Mieter hätte man bisher nur wenige unternommen: So wurden etwa gewisse Zimmer umgetauft, da ihre Namen zu negativ geklungen hätten. Aus dem Knechtenzimmer wurde kurzum das Jenatschzimmer (nach Jürg Jenatsch, dem Retter Graubündens im Dreissigjährigen Krieg) und aus der «Jugendherberge» das Schwalbenzimmer. Auch ein Fernseher fand nach über zwei Jahrzehnten Einzug ins Haus. «Mit Satellitenempfang – das gehört für viele Menschen ganz einfach zum Ferienprogramm.» – «Letztlich ist die Vermieterei aber auch ganz spannend», sagt Verena Küenzi. «Man hat aussergewöhnliche Begegnungen.» Wie etwa mit der Grossfamilie aus Abu Dhabi, die mit ihrer ganzen Entourage, mit Köchen und Bediensteten, angereist sei.

Fünfter Akt: loslassen, allmählich:

Wir stehen in der Scheune der Chesa Wazzau, die vor wenigen Monaten von einem Bauern aus dem Dorf leer geräumt wurde. «Wir hatten den Raum jahrelang ausgeliehen, weil wir keine Verwendung dafür hatten», sagt Christian Küenzi. «Zuerst hat er darin Heu gelagert für seine Tiere, am Schluss aber nur noch Holz und Kram.» Was nun daraus werden soll, aus diesem Raum, der Christian Küenzi vor 26 Jahren von seiner sakralen Schönheit überzeugt hat? Der Fotograf hält einen Moment inne und erzählt dann von seiner Tochter, der Architektin, welche für die Scheune bereits Pläne gezeichnet hat. Geniale Pläne, wie der Vater findet. Und schon scheint er wieder Feuer gefangen zu haben. Verena Küenzi hingegen ist müde, mag sich nicht mehr auf den Aufwand und den Lärm von monatelangen Umbauarbeiten einlassen: «Wir konnten uns in der Chesa Wazzau gestalterisch ausleben, haben vieles nach unseren Vorstellungen umsetzen können – die grossen Visionen für das Haus überlassen wir nun der nächsten Generation – wenn es an der Zeit ist.»
Wazzau ist übrigens der Name der alten Bauernfamilie, die um 1600 in Bever lebte.


Chesa Wazzau



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