MARC NEWSON - Sinn für Theatralisches; A sense of theatrical

Marc Newson, photo: Romeo Balancout


Über den Preis mag man streiten, über seinen diesjährigen Empfänger kaum. Der in London lebende Australier Marc Newson erhielt am 27. Oktober in Hamburg den mit 50.000 Euro dotierten Lucky Strike Designer Award. Allenfalls ließe sich fragen, warum er mit diesem Preis erst 2011 als einundzwanzigster in einer langen Reihe herausragender Designer, Modemacher, Fotografen und Vermittler geehrt wurde. Womöglich hat es mit Design zu tun, dass die Marke „Lucky Strike" im Nachkriegseuropa zur Schmuggel- und Ersatzwährung wurde, etwa mit ihrem klaren Markenbild. Designer Raymond Loewy hatte es 1940 entworfen; es setzte sich durch, weil es prägnanter, besser und billiger als der Vorläufer war. Im Europa des Jahres 2011 glaubt niemand mehr so recht an die gestalterische Innovationskraft der Tabakindustrie, die dennoch weltweit blendende Renditen einfährt. Geraucht wird in Zeiten von Krisen, von politischen und sozialen Umbrüchen wie eh und je.

While the award itself may be controversial, this year's winner most certainly is not. On October 27, London-based Australian Marc Newson took receipt of this year's Lucky Strike Designer Award, worth EUR 50,000, at the ceremony in Hamburg. One could at best ask why it has taken until 2011 for him to win it, as the 21st winner in a long series of outstanding designers, fashionmakers, photographers and intermediaries. Possibly it has something to do with design that the "Lucky Strike" brand became a smuggler's dream in post-War Europe, a substitute currency, given its clear brand image. Designer Raymond Loewy created the look in 1940; it won out, because it was more striking, better and cheaper than its predecessor. In the Europe of 2011 no one really believes in the design innovativeness of the tobacco industry, although the latter continues to book superb returns worldwide. People have always smoked in times of crisis, during political and social upheaval.




Aquariva by Marc Newson, Photo credits: Jerome Kelagopian

Kelvin 40 conzept jet by Marc Newson, Foto: Daniel Adric

1991 rief British American Tobacco den „Lucky Strike Designer Award" ins Leben, um die Zigarettenmarke „Lucky Strike" im Umfeld der Kreativen neu zu positionieren. Erfreulich ist, dass man trotz eines veränderten Umfelds an der Auszeichnung festhält. Traurig allerdings, dass von der Eloquenz der Reden, die einst die Preisverleihungen der Raymond Loewy Foundation prägten, kaum noch etwas zu spüren ist. Seit einigen Jahren sind Stiftungspräsident Welfhard Kraiker und Juryvorsitzender Michael Erlhoff nicht mehr dabei und die Veranstaltung verlor spürbar an Profil. Nicht einmal eine Laudatio gibt es mehr. Neben Newson, der im Gespräch mit Jury-Mitglied Grit Seymour seine Arbeit erläuterte, vermochte einzig Nils Jockel, der Designexperte des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, mit einer kurzen Rede, das Publikum zu fesseln. Er erinnerte an Worte und Wirken von Kurt Weidemann, den im März verstorbenen Preisträger von 1995 und späteren Juror des Awards. Ansonsten wurde gespart: Die Preisverleihung wechselte von der Spree an die Elbe, von Berlin ins Hamburger Stilwerk. Der Nachwuchspreis – er geht dieses Mal an Felix Krinke aus Aachen – wird erstmals zusammen mit dem Hauptpreis vergeben.


In 1991, British American Tobacco launched the "Lucky Strike Designer Award" in order to reposition the "Lucky Strike" cigarette brand in the creative world. It is gratifying that despite the changed conditions today the award continues. What is sad is that little is left of the eloquence of the speeches that once shaped the prize-winning ceremonies of the Raymond Loewy Foundation. For some years, the foundation's president Welfhard Kraiker and jury chairman Michael Erlhoff have no longer been part of things and the event's profile has noticeably suffered. There's not even a speech in praise of the winner any longer. Alongside Newson, who in discussion with jury member Grit Seymour explained his work, only Nils Jockel, the design expert at Hamburg's Museum für Kunst und Gewerbe, managed to captivate the audience in his short address. He evoked the words and works of Kurt Weidemann, the 1995 prize winner and later juror for the award, who died in March. Otherwise, cuts all round: The prize has moved from the Spree to the Elbe, from Berlin to Hamburg's Stilwerk. The prize for young talents went this year to Felix Krinke from Aachen and was the first time awarded along with the main prize.
  

Spaceplane, Foto: 2007 Marc Newson Ltd Image / background: NASA

Vor einer Dekade sah man Marc Newsons Werk hauptsächlich als Verkörperung des Zeitgeists, tatsächlich ist es vielschichtiger. Newson ist ein Industrial Designer, der nie Design studierte, er ist Silberschmied und absolvierte am Sydney College of the Arts ein Studium in Schmuckdesign und Bildhauerei. Heute wechselt er zwischen schnellen und zeitraubenden Projekten, zwischen dem Entwurf von Industrieprodukten für den Alltag und Objekten, die wie Kunst vertrieben werden. So präsentierte er die limitierte Edition seiner speziell ausgestatteten Version des Sportboots „Aquariva" in der New Yorker Galerie Gagosian.

A decade ago, Marc Newson's oeuvre was mainly felt to embody the zeitgeist but is in fact deeper than that. Newson is an industrial designer by profession who never studied design; he's a silver smith and graduated in Jewelry Design and Sculpting from the Sydney College of the Arts. Today, he oscillates between fast and time-consuming projects, between designing industrial products for everyday use and objects that are sold as art. He thus presented the limited edition of his specially furnished version of the "Aquariva" sports boat in New York's Gagosian gallery.


                             Ikepod Solaris Watch by Marc Newson, Photo credits: Olivier Pasqual


Zusammenhänge begreifen

Als ersten Versuch ein eigenes Objekt zu schaffen, nennt er die Uhr seines Onkels. Er war höchstens neun Jahre alt, zerlegte sie, gab dem Uhrwerk ein neues Gehäuse aus Kunststoff, das er mit einfachsten Mitteln in Form gebracht hatte. Deckel und Boden versah er mit Plexiglas, damit man hineinsehen konnte. Im Rückblick erklärt Newson, wie wichtig es war, dem teuren Gegenstand respektlos zu begegnen, mit dem Vorsatz ihn zu verändern. Es war eine typisches Jungensprojekt: „Ich wollte mechanische Zusammenhänge begreifen." Design oder Ästhetik besaßen in Australien zur Zeit seiner Jugend keinen besonderen Stellenwert. Darüber zu träumen, wie Dinge aussehen sollten, war für Newson die relevante Beschäftigung.

Change
The first attempt to create an object in its own right was, he says, his uncle's watch. He was at most nine years old, took the watch apart, created a new plastic case for the clockwork using the simplest of means. He covered the lid and back with Perspex so that you could look into it. Retrospectively, Newson explains how important it was to tackle the expensive object with no respect at all, with the intention of changing it. It was a typical boy's thing: "I wanted to find out how the mechanics worked." In the Australia of his youth, design or aesthetics hardly had any cachet. Dreaming of how things should look was a relevant preoccupation for Newson.

Hourglass für Ikepod von Marc Newson


Andere Regeln im digitalen Zeitalter
Für Newson war die Mondlandung ein einschneidendes Erlebnis. Sie schlägt sich bis heute in seinen Entwürfen nieder. Wichtiger ist ihm der Zusammenhang: „Ich wuchs zu einer Zeit und in einer Gegend auf, in der eine optimistische Grundhaltung zur Zukunft bestimmend war", erinnert er sich. Anders als heute stellte man sich die Zukunft futuristisch vor. Heute gelte die Zukunft zumindest als unsicher. Besser, man begegnet ihr pessimistisch. Womöglich sei dies die realistischere Einstellung. Eine Einsicht, die sich allerdings nicht auf Newsons Entwürfe auswirkt. Da man als Kreativer in der Kindheit geprägt werde, sei es für einen Designer „meiner Generation viel einfacher, einen Sinn für Fantasie zu entwickeln." Im mechanischen Zeitalter, ist Newson überzeugt, gelang dies leichter als nun im digitalen, dessen Regeln unangreifbarer erscheinen.


Be optimistic

For Newson, the moon landing was a decisive moment and to this day it is still reflected in his designs. What is important to him is the context: "I grew up in an age and place in which an optimistic view of the future held sway," he remembers. Unlike today, the future then was thought of in futuristic terms. Today, the future tends to be considered as uncertain. Or rather it is viewed pessimistically. Possibly this is the more realistic angle, he says. But it is not an insight that influences his designs. Since the creative mind is formed in childhood, it is "much easier [for designers] of my generation to develop a feel for the imagination." In the mechanical age, or so Newson is convinced, this was easier than in the digital world, the rules of which seem inviolable.

Jaeger LeCoultre Atmos 561 clock, Photo credits: Philippe Joner

Materialistisch denken
Als Bausteine, als Spielmaterial, mit dem er sich ausdrückt, sieht Newson die Materialien, mit denen er operiert. „Ich nutze sie, um zu kommunizieren. Wie ein Autor, der aus Worten Sätze formt." Verständnis und Interesse für Materialien hält er für Grundlagen jeder Entwurfsarbeit. Wie er mit ihnen umgeht, unterscheidet sich je nach Aufgabe. Da sind etwa die Projekte „an der Grenze zwischen Skulptur und Design", für die es nur wenige Restriktionen gibt. Doch seine Hauptaufgabe als Designer sei es mit Industrieunternehmen zu arbeiten, etwa Flugzeugherstellern wie Airbus und Fluggesellschaften wie Qantas. Briefings setzen dabei enge Vorgaben. Materialien spielen eine untergeordnete Rolle. „Sie stehen in enger Verbindung mit dem Problem, das es zu lösen gilt. Man sollte sie nie um ihrer selbst willen einsetzen."


Welche Rolle spielt für Newson der häufige Wechsel zwischen Betätigungsfeldern vom Möbeldesign, von Mode und Schmuck zu technisch geprägten Entwürfen für Flugzeuge, Boote und Autos; zwischen Unikat und Serienprodukt? „Für mich handelt Design von der Möglichkeit, all diese Dinge zu schaffen. Ich sehe keine prinzipiellen Unterschiede zwischen einem Mobiltelefon und einer Tasse. Was sich unterscheidet, sind Material, Maßstab und Funktion. Es wäre langweilig, sich ein Leben lang auf den Entwurf von Stühlen zu kaprizieren."




Think materialistically
Newson views the materials with which he operates as modules, as materials to play with, to express himself. "I use them to communicate. Like an author who forms sentences from words." He believes the basis of all design work is to grasp the materials, to be interested in them. How he approaches them differs from task to task. There are projects "on the interface between sculpture and design" where there are very few restrictions. But his main task as a designer is, he says, to collaborate with industrial corporations, such as aircraft makers like Airbus and airlines such as Qantas. Briefings set narrow limits, and materials play a subordinate role. "They are closely related to the problem that has to be solved. They should never be used for their own sake."

What role does the frequent switch between working in furniture design, fashion and jewelry to the technically informed worlds of aircraft, boat and car design, i.e., between one-off and mass-produced items, play for Newson? "For me design addresses the possibility of creating all these things. I do not discern any essential difference between a mobile phone and a cup. The differences are the materials, scale and function. It'd be boring to claim to design chairs all your life long."




Marmorregal von Marc Newson für Gagosian Gallery, Foto: Image Courtesy Gagosian Gallery

Vom Sinn für Dringlichkeit lernen
Mode ist etwas anderes. „Ich bin kein Modedesigner, fand es aber interessant, als ich vom niederländischen Bekleidungshersteller G-Star gefragt wurde, ob ich ein oder zwei Kollektionen entwerfen wolle." Man kann Mode nicht vermeiden. „Für Männer wie mich gibt es zu wenig Auswahl." Ein Argument, das Angebot auszuweiten. Am Abend der Preisverleihung trägt er einen leuchtend gelben Anzug, nicht selbst entworfen. „Es ist keine Raketenwissenschaft", sagt Newson, der für EADS schon ein Spaceplane für den Flug in die Stratosphäre entwarf, „aber eine komplett andere Industrie." Newson schätzt den Kontrast zu seinen übrigen Projekten, die im Durchschnitt etwa drei Jahre in Anspruch nehmen. „Mode ist sehr leicht und schnell." Für die Modeindustrie zu arbeiten, gibt ihm Kraft. Designer wie Unternehmen könnten zudem viel von dem Sinn für Dringlichkeit lernen, der in der Modeindustrie vorherrsche.

Eher symbolisch sieht sich Marc Newson von Raymond Loewy beeinflusst. „Er gehört einer gänzlich anderen Generation an", sagt Newson. Er lebte in einer Ära, die sich als visionär verstand. „So wie meiner Generation die Zukunft als futuristisch erschien, so galt das für ihn und seine Zeit umso mehr. Alles was er tat, hing mit der Zukunft zusammen und wie wir darin leben wollten." Designer seien heute viel mehr an der Gegenwart als an der Zukunft orientiert. „Es gibt eine große Unmittelbarkeit," konstatiert Newson. Loewy war einer der „Begründer der Designindustrie, wie wir sie heute kennen. Und zudem war er eine wunderbar extravagante Persönlichkeit," er war ein Lifestyle-Designer, der seine eigenen Autos entwarf. In gewisser Weise war er sein eigener idealer Konsument, der Entwürfe mit einer Art Checkliste darauf überprüfte, ob sie sich in Bestehendes einfügen ließen. „Er hatte einen Sinn für Theatralische, für Opulenz und Luxus. Aber zugleich war er ein sehr guter Designer.

Accelerate
Fashion is different. "I'm not a fashion designer, but I found it interesting when Dutch clothing manufacturer G-Star asked me whether I wanted to design the one or other collection." There's simply no avoiding fashion. "For men like me there is little choice." A good reason to expand the range. On the evening of the awards ceremony he appears in a bright yellow suit, albeit not one he designed. "It's not rocket science," says Newson, who once designed a spaceplane for the stratosphere for EADS, "but a completely different industry." Newson loves the contrast to his other projects, which on average take three years each. "Fashion is very easy and fast." He derives vigor from working for the fashion industry. Designers and companies can, moreover, learn much from the sense of urgency that prevails in the fashion industry he suggests.

Marc Newson feels Raymond Loewy influenced him essentially at a symbolic level. "He belonged to a completely different generation," says Newson. Loewy lived in an era that considered itself visionary. "My generation viewed the future as futuristic, and that applies even more so to him and his age. Everything he did was related to the future and how we wanted to live in it." Designers are now far more focused on the present than the future, he suggests. "There is a great sense of immediacy," Newson affirms. Loewy was one of the "founders of the design industry as we know it today. And he was also a marvelously extravagant personality," he was a lifestyle designer who designed his own cars. In a certain sense he was his own ideal consumer who went through designs with a kind of checklist to establish whether they were compatible with what already existed. "He had a strong sense of the theatrical, for opulence and luxury. But he was also a very good designer."
www.raymondloewyfoundation.com
www.marc-newson.com

 Lockheed Lounge, photo: Carin Katt

Necklace Julia for Boucheron, Photo credits: Courtesy of Marc Newson Limited

Wooden Chair, photo: Fabrice Gousset

Samsonite Scope, photo: Courtesy of Marc Newson Limited







Kommentare

Beliebte Posts